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Das erste Urteil des Weltstrafgericht

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Der ehemalige kongolesische Rebellenführer Thomas Lubanga Dyilo ist am Mittwoch vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag für schuldig befunden worden, in seiner Heimat Hunderte Kinder als Soldaten missbraucht zu haben. Für wieviele Jahre Lubanga ins Gefängnis soll, wollen die Richter später entscheiden. Es handelt sich um ein historisches Urteil: Der 51-Jährige war der erste mutmaßliche Kriegsverbrecher, der vom IStGH festgenommen und vor Gericht gestellt wurde.

Sie schufen einen Gerichtshof, der alles aufholen sollte, was die Welt in Jahrzehnten der Straflosigkeit verpasst hatte: Täter abschrecken, Opfer versöhnen, Kriege beenden, Kriege verhindern.

Ein ständiges Gericht, das die schlimmsten aller Verbrechen ahnden soll. Ein Allheilmittel. Das war im Jahr 2002.

Zehn Jahre später fällt dieser Gerichtshof in Den Haag sein erstes Urteil, über den Kongolesen Thomas Lubanga Dyilo, der Kindersoldaten rekrutiert haben soll. Ein einziges Urteil in zehn Jahren, eine beschämende Bilanz – auf den ersten Blick.

Auch der Prozess war eine Serie von Pleiten, Pech und Pannen. Zwei Mal hätte das Gericht Lubanga fast wegen Verfahrensfehlern freisprechen müssen. Zwei Mal jubelten seine Anhänger im Kongo und fürchteten seine Opfer ein Wiederaufleben von Gewalt. Die Welt begann an ihrem neuen Allheilmittel zu zweifeln.

Doch das Gericht musste Erwartungen enttäuschen. Zwangsläufig. Ihm fehlt die Polizei, die für nationale Gerichte Haftbefehle vollstreckt, Zeugen findet, Opfer schützt. Es ist angewiesen auf Staaten, die sein Statut freiwillig unterzeichnen und kooperieren: Afrikanische Rebellen sind daher leichter festzunehmen als zum Beispiel britische Soldaten, die im Irak foltern.

Mehr als 60 Jahre hatten die Staaten gezögert seit den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen – der Geburt des Völkerstrafrechts –, bis sie sich zur Gründung eines ständigen Gremiums entschließen konnten. Zuvor schafften sie ab den 90ern schrittweise ein dezentrales System internationaler Strafjustiz: Das Jugoslawientribunal hat inzwischen all seine Angeklagten festgenommen, das Ruandatribunal hat Maßstäbe gesetzt für die Rechtsprechung bei Völkermord, das Gericht für Sierra Leone urteilt in Kürze über Charles Taylor.

Verglichen mit diesen Tribunalen arbeitet der Internationale Strafgerichtshof langsam, bürokratisch, mit Kinderkrankheiten und einem unbeliebten Chefankläger. Menschenrechtler und Akademiker kritisieren ihn. Erst in den vergangenen Monaten begann das Gericht die Erwartungen zu erfüllen: mehr Angeklagte, mehr Unterzeichnerstaaten, Haftbefehle gegen Gaddafi und seine Söhne in einem laufenden Konflikt.

Und wenn die Libyer dem Gaddafi- Sohn Saif al Islam selbst den Prozess machen wollen, müssen sie ihre Justiz internationalen Standards anpassen. Sonst könnte Den Haag übernehmen – das ist ein Anreiz. Selbst die USA, die kein Mitglied sind und das Gericht lange bekämpften, stimmten jetzt im Sicherheitsrat zu, die Fälle Sudan und Libyen zu überweisen.

Man mag es unwürdig finden, dass Opfer jahrelang auf ein Urteil warten, dass Lubanga nur für einen kleinen Teil seiner mutmaßlichen Verbrechen angeklagt wurde, dass er sogar hätte freigesprochen werden können. Man kann es aber auch beruhigend finden.

Denn ein Gericht, besonders, wenn es über die schlimmsten aller Verbrechen urteilt, entscheidet niemals moralisch, sondern immer juristisch. Es muss die Rechte des Angeklagten wahren, auch wenn die ganze Welt ihn für schuldig hält. Deshalb ist heute in Den Haag ein Tag zum Feiern, nicht nur weil Lubanga schuldig gesprochen wurde.

(Tagesspiegel)


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